Alter Turm in neuer Zier

Sicherlich gibt es Leute, die den Standpunkt vertreten, dass alte Bauwerke, deren frühere Sinngebung heute bereits verlorengegangen ist und die noch dazu-wie z. B. der Marktturm in Obdach-vermeintlich den modernen Verkehrsinteressen im Wege stehen, ganz einfach beseitigt gehören. Dass dies kein allzu moderner Standpunkt ist, der nur aus dem Gesichtspunkt des heutigen, schnellen und motorisierten Verkehrs allein vertreten wird, beweist die Tatsache, dass ähnliche Gedankengänge viele unserer alten Städte vor und nach der Jahrhundertwende einer Unzahl alter Reize beraubt haben und z. B. Graz fast alle seine schönen Stadttore diesen Ideen geopfert hat. Erst zu spät erkannte man, dass die Rassierung solcher Bauwerke die Verkehrsmisere, die den Anlass zur Abtragung gab, durchaus nicht beseitigte.

Auch beim Obdacher Marktturm hätte ein Nachäffen längst überholter Maßnahmen-die ja Gott sei Dank überhaupt nicht zur Debatte standen-das Ortsbild nur einer reizvollen Schönheit beraubt, ohne wirklich Besserung zu bringen, da ja auch hier knapp hinter dem Turm in Richtung Kärnten eine Straßenenge zu vorsichtigem Fahren zwingt. Die Seltenheit der ungeschmälerten Erhaltung solch alter Bauwerke und deren harmonische Einfügung in das jeweilige Ortsbild muss allein schon Anlass genug sein, schonend mit ihnen umzugehen. Haben wir doch, nachdem Judenburg ebenso wie Knittelfeld alle diese Bauanlagen verloren hat , ähnliche Bauwerke im weiten Umkreis vor Friesach nur mehr in Unzmarkt mit dem Torturm des dortigen Gemeindeamtes aufzuweisen.

Die Eigentümer des Obdacher Marktturmes- die Vermögensverwaltung der Bürgerschaft Obdach- hat das notwendige Verständnis dafür aufgebracht, für das „nutzlose“ Bauwerk des schönen Obdacher Marktturmes die erforderlichen Mittel zu einer Instandsetzung aufzuwenden. Dabei soll das komische Verhältnis, dass es einen grundbücherlichen Eigentümer eigentlich gar nicht gibt, da die Parzelle, auf der der Turm steht, in der Grundbuchmappe nicht ausgezeichnet ist, eigens angeführt werden. Trotzdem es den Turm also amtlich eigentlich nicht gibt, konnte er durch die Großzügigkeit der Eigentümer der Nachwelt erhalten werden.

Bei der Erneuerung, die nach dem Entwurf Architekt Arnolds durchgeführt wurde, war als erstes die Frage zu klären, wie die Verunstaltung zu beseitigen wäre, die den Turm nach dem Erdbeben von 1936 durch die Anlegung außen sichtbarer Eisenschließen mit langen hässlichen Traversen zugefügt worden war. Durch Anbringung im Mauerwerk versenkter Stahlplatten und deren Verankerung an den bestehenden Schließen gelang dies. Gleichzeitig wurde das sehr stark  durch wiederholte spätere Fenster- und Türausbrüche gelockerte Mauerwerk durch Schließung aller nicht mehr notwendiger Öffnungen mit armiertem Füllbeton gefestigt. Die Einziehung einer den Turm rundum zusammenfassenden Schließe an der obersten Krone, unter Putz angebracht, dient der weiteren Sicherung.

 

 

 

 

Der Wappenadler und der Lebensbaum

Eine weitere wichtige Frage war die Erneuerung der äußeren Gestaltung. Es zeigte sich, dass ein früher an der Südfront aufgemalter Wappenadler nicht mehr restauriert werden konnte und so wurde- um die Erinnerung an das alte Bild wachzurufen – wieder die Anbringung eines derartigen Schmuckes beschlossen. Heute grüßt den von Süden Kommenden ein in Sgraffito- Technik ausgeführter, modern gestalteter Wappenadler aus der Hand des jungen Grazer Malers August Reidl. Auf der Nordseite, die nicht einmal mehr Reste des früheren Schmuckes zeigte, und die dem Wetter  besonders ausgesetzt erscheint , konnte nur die Anbringung einer besonders wetterbeständigen Ausschmückung in Erwägung gezogen werden. Es wurde daher die Idee aufgegriffen, dort eine keramische Arbeit anzubringen und Frau Edith Felice ( Judenburg ) der Auftrag hiezu erteilt. Heute ziert diese dem Hauptplatz zugekehrte Front das Symbol eines Lebensbaumes, der aus dem Wappenbild  Obdachs entspringend, vier Figuren trägt, die die einzelnen Lebensalter versinnbildlichen: die Kindheit, die Jugend, das Mannen- und das Greisenalter. In ihrer Gesamtheit die Idee verkörpernd, dass das auf uns überkommene Bestehen des Ortes- dem Legendären entsprungen- durch die Erneuerung der Generationen weitergetragen werden möge in eine fernere, hoffentlich glücklichere Zukunft.

Die oft und gewaltsam vorgenommenen Veränderungen der Durchfahrtsbögen wurden in eine neue gefällige Korbbogenform gebracht und die ständige Beschädigung der Durchfahrt durch unachtsame Fahrzeuge durch die Anbringung von Streifkugeln hoffentlich gemindert.

Vollkommen umgestaltet musste der Aufgang in den Turm werden, der bisher in wirklich lebensgefährdender und verkehrsbehindernden Weise unmittelbar aus der Durchfahrt heraus angeordnet war. Zu diesem Behufe wurde ein seitlicher Anbau ausgeführt, der durch das Verständnis des Grundnachbars ermöglicht wurde und heute neben dem Südportal als Rundturm beginnend, in einer sich aus der Führung der Treppe ergebenden Schweifung in das 1. Stockwerk des Turmes emporführt. Ein Gittertor aus der Werkstatt der Kunstschmiede- Fachschule in Bruck schließt den mit einem Segmentbogen und vorgelegten Rundstufen sich darbietenden Aufgang nach außen ab. Eine ebenfalls in Sgraffito ausgeführte Inschrift: „Dieser Turm schützte viele hundert Jahre Markt und Land“ markiert mit dem steirischen Pantherwappen die nahe Landesgrenze.

Die alte Turmuhr wurde so wie sie war in Bemalung und Zeigerform wiederhergestellt. Die Bedachung der Turmlaterne konnte mit einem Kupferdach auf lange Zeit nicht nur gesichert werden, sondern wird nach deren Patinierung auch eine schöne neue Farbnote in das Ortsbild bringen. Nach Erneuerung der früher nur aufgemalten Deckquader in Putz und der Färbelung der Turmfronten sowie des neuen Anbaues – der wegen fortgeschrittener Jahreszeit nicht mehr vollständig verputzt werden konnte-, fügt sich das nunmehr wiedererneuerte Gebäude des alten Marktturmes schön in das  im allgemeinen gut gepflegte Ortsbild des Marktes Obdach ein.

Dem Freunde der Schönheiten unserer engeren Heimat muss es eine Freude bereiten, dass die Erneuerung und Sicherung dieses Bauwerkes für die fernere Zukunft gelungen ist.

 

Beitrag in der Murtaler Zeitung  (vom Februar 1952 )

 

 

 

 

1990

Renovierung des Lebensbaumes

Obmann Schlacher Josef mit Ehepaar Felice